Freitag, 29. Juli 2016

"Oper interruptus" - Mein Abend bei den Opernfestspielen von Verona. Ein Reisebericht der ganz besonderen Art.

Im diesjährigen Urlaub am Gardasee bot sich mir die langersehnte Gelegenheit, einmal die Opernfestspiele von Verona zu besuchen. Es lief auch noch Turandot, meine Lieblingsoper. Also Mann bei den Kindern gelassen, Eintrittskarte besorgt und nichts wie ihn. Es würde ein wunderschöner Abend werden - so dachte ich zumindest.

Der Anfang von "Turandot" im Amphitheater Verona war perfekt, super Platz in der 11. Reihe, ein schöner warmer Sommerabend (noch). Die Atmosphäre und die Optik des Amphitheaters waren unglaublich eindrucksvoll. Sogar die Farben waren irgendwie weicher als sonst, die laue Abendluft ... es hatte etwas ganz Besonderes. Ich hatte sogar in meinem Koffer noch etwas Passendes, halbwegs Elegantes zum Anziehen gefunden sowie schwarze Glitzersandalen. Aber die anderen Leute waren auch nicht alle in Abendgarderobe, viel lockerer als in Deutschland in der Oper.

Die Vorstellung selbst war wundervoll, das Bühnenbild und die Kostüme der Hammer, und wider Erwarten hat das Orchester und das Ensemble Pucchini nicht niedergeschmettert, sondern wunderbar zart gespielt/gesungen, mit Wucht nur in den richtigen Augenblicken. Ich hab fast den ganzen ersten Akt lang geweint, so ergriffen war ich, und hab mich natürlich wie alle auf "Nessun Dorma" gefreut. Schon als der arme Prinz von Persien (nur mit einer weißen Hose, Stiefeln sowie viel Goldglitzer bedeckt) von der grausamen Prinzessin Turandot hingerichtet wurde, und dann noch bei Lius Arie (die schöne Sklavin, die den noch lebenden Prinzen, Kalaf (Hauptrolle) hoffnungslos liebt). Dabei sah man die italienische Leidenschaft, als mehrere Zuschauer aufsprangen, klatschten und laut "Brava! Bravissima!" riefen. Die sang aber auch gut, man konnte ihren Schmerz in ihrer Stimme hören und auch fühlen. Der Typ auf dem Platz neben mir sah anfangs so aus, aber war dann leider doch nicht Jared Leto, hätte jedoch sein Zwilling sein können. Aber egal. Auch er sollte wie wir alle sehr bald den Launen der italienischen Wettergötter zum Opfer fallen.

Nach einiger Zeit zogen sich dunkle Wolken als finstere Vorboten des weiteren Abends über der Arena zusammen, und Blitze kamen von allen Seiten (was zudem als Bild absolut wunderschön über der Arena aussah). Aber dann. Kaum hatte der zweite Akt begonnen und das zweite Bild (mit dem goldenen Palast) wurde gezeigt, der kaiserliche Hofstaat marschierte gerade in prächtigen Kostümen auf, da öffnete sich der Himmel, und es regnete. Regnen ist gar kein Ausdruck. Es schüttete, so als ob dir einer eimerweise Wasser über den Kopf gießen würde. Ich habe mir anfangs das mitgebrachte Regencape über den Kopf gehalten, was aber nach wenigen Minuten sinnlos war. Teils lachend, teils panisch drängten völlig durchnässte Zuschauer in die Vorhalle, was an sich schon aufgrund der vielen Leute lange dauerte. Es sah lustig aus, alle schick angezogen in triefenden Kleidern, den Frauen lief die Wimperntusche übers Gesicht (mir auch). Das Opernensemble sang sogar als kleine Entschädigung in den Gängen der Arena für das Publikum, alle klatschten. Innerhalb kurzer Zeit kam dann die Durchsage, dass die Vorstellung aufgrund des Wetters abgebrochen wird. Na toll. Mein Fahrer sollte erst nachts um 1 kommen, es war etwa 22.30 und ich bereits patschnass.

Nun dachte ich mir, bist so schlau und suchst dir schnell ein Taxi, bevor die anderen drauf kommen. Kaum war ich über den Platz vor dem Theater (da stand schon knöcheltief das Wasser, ich musste waten), ging es erst richtig los. Blitze, Hagelkörner wie Geldmünzen, und ich mittendrin. Taxis kamen keine, ab und zu fuhr mal eins vorbei, aber die waren alle schon besetzt. Ich konnte eh nichts sehen, weil einem ständig das Wasser in die Augen lief. Ich stellte mich dann unter das Vordach eines Palazzos und versuchte, den Fahrer oder irgendein Taxi telefonisch zu bestellen. Sinnlos, alle Leitungen blockiert. Ich hatte dann das Glück, das zufällig gerade dort ein Bus Richtung Lazise hielt, da bin ich dann schnell reingesprungen (mittlerweile triefend nass bis auf die Unterwäsche und schlotternd, weil mir kalt war. Handtasche, Taschentücher, Geld, Handy, alles nass).

Die Busfahrt (mit einmal Umsteigen) dauerte ewig, da die Straßen und Tunnel teilweise überflutet waren, ich dachte, der Bus bleibt irgendwann stecken oder fällt einfach um (natürlich auf meine Seite). Ich hatte Todesängste und dachte, ich komme nie mehr lebend da raus. Draußen Ausnahmezustand, es blitzte, regnete und hagelte wie verrückt. Der Fahrer war aber ganz gelassen, anscheinend kommt das da öfter vor. Mit im Bus war mit mir eine ganze Gruppe ebenso nasser, völlig besoffener Engländerinnen, denen aufgrund ihres alkoholisierten Zustandes die Gefahr der Lage offenbar vollkommen entging - jedesmal, wenn der Bus im hohen Wasser ins Rutschen geriet, kreischten sie vor Vergnügen, während ich mich bebend und betend am Geländer der ersten Reihe festklammerte. Vielleicht hätte ich vorher auch wesentlich mehr trinken sollen außer dem einen Glas Prosecco in der Oper.

Nach einer scheinbar endlosen Fahrt stieg ich erleichtert (im festen Glauben, meine Leiden hätten nun bald ein Ende) in meinem Wohnort Lazise aus und stand wieder mal im Regen - wörtlich und auch, da ich an irgendeiner Straße abgesetzt worden war und keinerlei Möglichkeit sah, ein Taxi zu finden in der Nähe. Mein Handy war mittlerweile völlig abgesoffen, keine Chance, irgendjemanden anzurufen. Also lief ich in meinen nassen Glitzersandalen zur Rezeption eines Campingplatzes auf der anderen Straßenseite. Dort war ein junger Mann nebst Kollegin, die sich (in gebrochenem Englisch) hartnäckig weigerten, für mich die Taxizentrale anzurufen mit der Aussage, es wäre nicht ihre Aufgabe und sie hätten wichtigere Probleme zu lösen. Dabei haben sie nur rumgestanden, es war ja mitten in der Nacht. Ich wollte es ihnen ja großzügig entlohnen! Das Mädel hat mich noch frech angegrinst und dabei auf ihrem Ipad "Solitaire" gespielt. Ich hätte der am liebsten eine geknallt, der blöden Kuh. Aber zunächst war ich ganz geschockt, wie man nachts jemand so eiskalt jemanden wegschicken kann, der sich überhaupt nicht auskennt, tropfnass ist und sich völlig verlaufen hat. Seltsamerweise scheinen sich die Italiener übrigens zeitweise ähnlich wie die Franzosen stur zu weigern, Englisch zu verstehen. Sorry, ich geb mir ja immer Mühe, mein Gastland zu ehren, aber ich kann halt nur fünf Brocken Italienisch. Dachten sie vielleicht, ich sei eine Obdachlose in Opernklamotten?

Meine verlaufene Wimperntusche verlieh mir freilich mittlerweile den Look eines etwas in die Jahre gekommenen Emo-Girls, meine sorgfältig gestylte Frisur hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst und ich hatte sicher den Blick einer irren Axtmörderin. Ich hätte am liebsten losgeheult, ich war fix und fertig und sah auch genauso aus. Okay, ich hab draußen tatsächlich losgeheult. Kann man nicht mal für jemanden in einer Ausnahmesituation einen kurzen Telefonanruf tätigen, noch dazu gegen großzügige Bezahlung? Was für zwei kleine, miese Arschlöcher. Ich hoffe, sie bekommen nie einen anderen Job, als die Nachtschicht auf dem Campingplatz zu schieben und sich irgendwann zu Tode zu langweilen. Wenn also mal jemand meiner geneigten LeserInnen einmal auf dem Campingplatz „Du Parc“ in Lazise wohnen sollte und dabei einen dünnen, langhaarigen Parkangestellten mit Zopf sowie seine rundliche junge Angestellte mit roter Spike-Frisur und hohlem Blick antreffen sollte, tretet ihnen doch bitte mit Schwung und herzlichen Grüßen von mir in ihre herzlosen Ärsche.

Ich bin dann wieder (immer noch in höllisch unbequemen Glitzersandalen) die Straße entlang zu einer Tankstelle, in der Hoffnung, dass da jemand für mich anrufen kann. Natürlich - was auch sonst - war die Tanke schon geschlossen, es gab nur einen Tankautomaten. Zufällig hielten da gerade ein paar Jungs um die Zwanzig in einem kleinen Auto, die hab ich angehauen wegen dem Anruf. Was für ein Glück, die waren dermaßen freundlich, haben mehrere Taxiunternehmen für mich angerufen (alle waren voll ausgebucht) und haben mich dann sogar bis zur Straße, wo ich wohnte, gefahren. Meine rettenden Engel revidierten meine eben erst gebildete Meinung über die unmenschliche Haltung der Italiener gegenüber hilflosen Frauen in Notlage sofort. Ich wollte Ihnen gerne Geld für ihre Bemühungen geben, was sie kategorisch ablehnten und meinten, das sei ja wohl selbstverständlich. Richtige Gentlemen! Viva Italia! Dabei habe ich ihnen noch zum Dank das Auto vollgetropft, was mir sehr unangenehm war. Ich fuhr also mit den drei jungen, freundlichen Herren völlig durchnäßt im Disco-Spaßmobil inklusive Technomusik in rasantem Tempo gen Ferienhaus, hab mich vielmals überschwänglich mit Mille Grazie bedankt und war dann endlich, endlich zuhause. So dachte ich zumindest.

Die Straße mit unserem Ferienhaus ist privat und durch ein hohes Tor gesichert, man kommt nur rein mit Fernbedienung. Also klingelte ich bei den Leuten, die dort fest wohnen (es regnete immer noch stark, mir war die ganze Schminke in die Augen gelaufen und ich war trotz Kontaktlinsen halb blind). Es ging eine gebrochen Deutsch sprechende ältere Dame dran, die meinte, sie könne mir doch nicht einfach aufmachen, weil doch soviel heutzutage passiert, ihr sei nicht wohl dabei. Sicher sei ich in der falschen Straße, sie kenne kein Ferienhaus „Casa Serena“, nie davon gehört. Ich versicherte ihr mehrmals, dass ich allein war und wirklich niemanden ausrauben wollte. Sie war anfangs nicht überzeugt und fand das alles verwirrend, aber irgendwann öffnete sich doch wie von Zauberhand das Tor und ich durfte rein. Endlich humpelte ich die letzten Meter zum Ferienhaus und empfand dabei den Triumph eines Marathonläufers, der unter dem Jubel der Zuschauer die Ziellinie überquert. In meinem Kopf sang der Opernchor zusammen mit dem Tenor "Vincero! Vinceroo! Vine-cee-rooo!" (Ich siege! - wie in der berühmten Arie). Zum krönenden Abschluss wurde ich dann allerdings noch telefonisch von meinem Mann angemeckert, der dachte, ich bin in Lazise an der Bushaltestelle, und mich gerade ebendort mit dem Auto suchte. Naja, er meinte es auch nur gut. Ich wollte nur irgendwie aus dem Regen raus und nutzte jede Gelegenheit, die sich mir unterwegs bot.

Aber das alles war mir dann letztendlich auch wurscht. Ich hab nur noch geduscht und bin ins Bett. Das also war mein "romantischer" Abend in der Arena von Verona. Mein schönes iPhone ist übrigens immer noch kaputt. Es ist der italienischen Oper zum Opfer gefallen wie die arme, unglücklich verliebte Sklavin Liu, die sich im dritten Akt (wäre er denn aufgeführt worden) selbst erstochen hätte, um ihren Prinzen zu beschützen.

Und ich hab nicht mal das "Nessun Dorma" gehört.


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