Der Anfang von "Turandot" im Amphitheater Verona war perfekt, super
Platz in der 11. Reihe, ein schöner warmer Sommerabend (noch). Die
Atmosphäre und die Optik des Amphitheaters waren unglaublich
eindrucksvoll. Sogar die Farben waren irgendwie weicher als sonst, die
laue Abendluft ... es hatte etwas ganz Besonderes. Ich hatte sogar in
meinem Koffer noch etwas Passendes, halbwegs Elegantes zum Anziehen
gefunden sowie schwarze Glitzersandalen. Aber die anderen Leute waren
auch nicht alle in Abendgarderobe, viel lockerer als in Deutschland in
der Oper.
Die Vorstellung selbst war wundervoll, das Bühnenbild
und die Kostüme der Hammer, und wider Erwarten hat das Orchester und das
Ensemble Pucchini nicht niedergeschmettert, sondern wunderbar zart
gespielt/gesungen, mit Wucht nur in den richtigen Augenblicken. Ich hab
fast den ganzen ersten Akt lang geweint, so ergriffen war ich, und hab
mich natürlich wie alle auf "Nessun Dorma" gefreut. Schon als der arme
Prinz von Persien (nur mit einer weißen Hose, Stiefeln sowie viel
Goldglitzer bedeckt) von der grausamen Prinzessin Turandot hingerichtet
wurde, und dann noch bei Lius Arie (die schöne Sklavin, die den noch
lebenden Prinzen, Kalaf (Hauptrolle) hoffnungslos liebt). Dabei sah man
die italienische Leidenschaft, als mehrere Zuschauer aufsprangen,
klatschten und laut "Brava! Bravissima!" riefen. Die sang aber auch gut,
man konnte ihren Schmerz in ihrer Stimme hören und auch fühlen. Der Typ
auf dem Platz neben mir sah anfangs so aus, aber war dann leider doch
nicht Jared Leto, hätte jedoch sein Zwilling sein können. Aber egal.
Auch er sollte wie wir alle sehr bald den Launen der italienischen
Wettergötter zum Opfer fallen.
Nach einiger Zeit zogen sich
dunkle Wolken als finstere Vorboten des weiteren Abends über der Arena
zusammen, und Blitze kamen von allen Seiten (was zudem als Bild absolut
wunderschön über der Arena aussah). Aber dann. Kaum hatte der zweite Akt
begonnen und das zweite Bild (mit dem goldenen Palast) wurde gezeigt,
der kaiserliche Hofstaat marschierte gerade in prächtigen Kostümen auf,
da öffnete sich der Himmel, und es regnete. Regnen ist gar kein
Ausdruck. Es schüttete, so als ob dir einer eimerweise Wasser über den
Kopf gießen würde. Ich habe mir anfangs das mitgebrachte Regencape über
den Kopf gehalten, was aber nach wenigen Minuten sinnlos war. Teils
lachend, teils panisch drängten völlig durchnässte Zuschauer in die
Vorhalle, was an sich schon aufgrund der vielen Leute lange dauerte. Es
sah lustig aus, alle schick angezogen in triefenden Kleidern, den Frauen
lief die Wimperntusche übers Gesicht (mir auch). Das Opernensemble sang
sogar als kleine Entschädigung in den Gängen der Arena für das
Publikum, alle klatschten. Innerhalb kurzer Zeit kam dann die Durchsage,
dass die Vorstellung aufgrund des Wetters abgebrochen wird. Na toll.
Mein Fahrer sollte erst nachts um 1 kommen, es war etwa 22.30 und ich
bereits patschnass.
Nun dachte ich mir, bist so schlau und suchst
dir schnell ein Taxi, bevor die anderen drauf kommen. Kaum war ich über
den Platz vor dem Theater (da stand schon knöcheltief das Wasser, ich
musste waten), ging es erst richtig los. Blitze, Hagelkörner wie
Geldmünzen, und ich mittendrin. Taxis kamen keine, ab und zu fuhr mal
eins vorbei, aber die waren alle schon besetzt. Ich konnte eh nichts
sehen, weil einem ständig das Wasser in die Augen lief. Ich stellte mich
dann unter das Vordach eines Palazzos und versuchte, den Fahrer oder
irgendein Taxi telefonisch zu bestellen. Sinnlos, alle Leitungen
blockiert. Ich hatte dann das Glück, das zufällig gerade dort ein Bus
Richtung Lazise hielt, da bin ich dann schnell reingesprungen
(mittlerweile triefend nass bis auf die Unterwäsche und schlotternd,
weil mir kalt war. Handtasche, Taschentücher, Geld, Handy, alles nass).
Die Busfahrt (mit einmal Umsteigen) dauerte ewig, da die Straßen und
Tunnel teilweise überflutet waren, ich dachte, der Bus bleibt irgendwann
stecken oder fällt einfach um (natürlich auf meine Seite). Ich hatte
Todesängste und dachte, ich komme nie mehr lebend da raus. Draußen
Ausnahmezustand, es blitzte, regnete und hagelte wie verrückt. Der
Fahrer war aber ganz gelassen, anscheinend kommt das da öfter vor. Mit
im Bus war mit mir eine ganze Gruppe ebenso nasser, völlig besoffener
Engländerinnen, denen aufgrund ihres alkoholisierten Zustandes die
Gefahr der Lage offenbar vollkommen entging - jedesmal, wenn der Bus im
hohen Wasser ins Rutschen geriet, kreischten sie vor Vergnügen, während
ich mich bebend und betend am Geländer der ersten Reihe festklammerte.
Vielleicht hätte ich vorher auch wesentlich mehr trinken sollen außer
dem einen Glas Prosecco in der Oper.
Nach einer scheinbar
endlosen Fahrt stieg ich erleichtert (im festen Glauben, meine Leiden
hätten nun bald ein Ende) in meinem Wohnort Lazise aus und stand wieder
mal im Regen - wörtlich und auch, da ich an irgendeiner Straße abgesetzt
worden war und keinerlei Möglichkeit sah, ein Taxi zu finden in der
Nähe. Mein Handy war mittlerweile völlig abgesoffen, keine Chance,
irgendjemanden anzurufen. Also lief ich in meinen nassen Glitzersandalen
zur Rezeption eines Campingplatzes auf der anderen Straßenseite. Dort
war ein junger Mann nebst Kollegin, die sich (in gebrochenem Englisch)
hartnäckig weigerten, für mich die Taxizentrale anzurufen mit der
Aussage, es wäre nicht ihre Aufgabe und sie hätten wichtigere Probleme
zu lösen. Dabei haben sie nur rumgestanden, es war ja mitten in der
Nacht. Ich wollte es ihnen ja großzügig entlohnen! Das Mädel hat mich
noch frech angegrinst und dabei auf ihrem Ipad "Solitaire" gespielt. Ich
hätte der am liebsten eine geknallt, der blöden Kuh. Aber zunächst war
ich ganz geschockt, wie man nachts jemand so eiskalt jemanden
wegschicken kann, der sich überhaupt nicht auskennt, tropfnass ist und
sich völlig verlaufen hat. Seltsamerweise scheinen sich die Italiener
übrigens zeitweise ähnlich wie die Franzosen stur zu weigern, Englisch
zu verstehen. Sorry, ich geb mir ja immer Mühe, mein Gastland zu ehren,
aber ich kann halt nur fünf Brocken Italienisch. Dachten sie vielleicht,
ich sei eine Obdachlose in Opernklamotten?
Meine verlaufene
Wimperntusche verlieh mir freilich mittlerweile den Look eines etwas in
die Jahre gekommenen Emo-Girls, meine sorgfältig gestylte Frisur hatte
sich in Wohlgefallen aufgelöst und ich hatte sicher den Blick einer
irren Axtmörderin. Ich hätte am liebsten losgeheult, ich war fix und
fertig und sah auch genauso aus. Okay, ich hab draußen tatsächlich
losgeheult. Kann man nicht mal für jemanden in einer Ausnahmesituation
einen kurzen Telefonanruf tätigen, noch dazu gegen großzügige Bezahlung?
Was für zwei kleine, miese Arschlöcher. Ich hoffe, sie bekommen nie
einen anderen Job, als die Nachtschicht auf dem Campingplatz zu schieben
und sich irgendwann zu Tode zu langweilen. Wenn also mal jemand meiner
geneigten LeserInnen einmal auf dem Campingplatz „Du Parc“ in Lazise
wohnen sollte und dabei einen dünnen, langhaarigen Parkangestellten mit
Zopf sowie seine rundliche junge Angestellte mit roter Spike-Frisur und
hohlem Blick antreffen sollte, tretet ihnen doch bitte mit Schwung und
herzlichen Grüßen von mir in ihre herzlosen Ärsche.
Ich bin dann
wieder (immer noch in höllisch unbequemen Glitzersandalen) die Straße
entlang zu einer Tankstelle, in der Hoffnung, dass da jemand für mich
anrufen kann. Natürlich - was auch sonst - war die Tanke schon
geschlossen, es gab nur einen Tankautomaten. Zufällig hielten da gerade
ein paar Jungs um die Zwanzig in einem kleinen Auto, die hab ich
angehauen wegen dem Anruf. Was für ein Glück, die waren dermaßen
freundlich, haben mehrere Taxiunternehmen für mich angerufen (alle waren
voll ausgebucht) und haben mich dann sogar bis zur Straße, wo ich
wohnte, gefahren. Meine rettenden Engel revidierten meine eben erst
gebildete Meinung über die unmenschliche Haltung der Italiener gegenüber
hilflosen Frauen in Notlage sofort. Ich wollte Ihnen gerne Geld für
ihre Bemühungen geben, was sie kategorisch ablehnten und meinten, das
sei ja wohl selbstverständlich. Richtige Gentlemen! Viva Italia! Dabei
habe ich ihnen noch zum Dank das Auto vollgetropft, was mir sehr
unangenehm war. Ich fuhr also mit den drei jungen, freundlichen Herren
völlig durchnäßt im Disco-Spaßmobil inklusive Technomusik in rasantem
Tempo gen Ferienhaus, hab mich vielmals überschwänglich mit Mille Grazie
bedankt und war dann endlich, endlich zuhause. So dachte ich zumindest.
Die Straße mit unserem Ferienhaus ist privat und durch ein hohes Tor
gesichert, man kommt nur rein mit Fernbedienung. Also klingelte ich bei
den Leuten, die dort fest wohnen (es regnete immer noch stark, mir war
die ganze Schminke in die Augen gelaufen und ich war trotz Kontaktlinsen
halb blind). Es ging eine gebrochen Deutsch sprechende ältere Dame
dran, die meinte, sie könne mir doch nicht einfach aufmachen, weil doch
soviel heutzutage passiert, ihr sei nicht wohl dabei. Sicher sei ich in
der falschen Straße, sie kenne kein Ferienhaus „Casa Serena“, nie davon
gehört. Ich versicherte ihr mehrmals, dass ich allein war und wirklich
niemanden ausrauben wollte. Sie war anfangs nicht überzeugt und fand das
alles verwirrend, aber irgendwann öffnete sich doch wie von Zauberhand
das Tor und ich durfte rein. Endlich humpelte ich die letzten Meter zum
Ferienhaus und empfand dabei den Triumph eines Marathonläufers, der
unter dem Jubel der Zuschauer die Ziellinie überquert. In meinem Kopf
sang der Opernchor zusammen mit dem Tenor "Vincero! Vinceroo! Vine-cee-rooo!" (Ich
siege! - wie in der berühmten Arie). Zum krönenden Abschluss wurde ich
dann allerdings noch telefonisch von meinem Mann angemeckert, der
dachte, ich bin in Lazise an der Bushaltestelle, und mich gerade ebendort mit dem Auto suchte. Naja, er meinte es auch nur gut. Ich wollte nur
irgendwie aus dem Regen raus und nutzte jede Gelegenheit, die sich mir
unterwegs bot.
Aber das alles war mir dann letztendlich auch
wurscht. Ich hab nur noch geduscht und bin ins Bett. Das also war mein
"romantischer" Abend in der Arena von Verona. Mein schönes iPhone ist
übrigens immer noch kaputt. Es ist der italienischen Oper zum Opfer
gefallen wie die arme, unglücklich verliebte Sklavin Liu, die sich im
dritten Akt (wäre er denn aufgeführt worden) selbst erstochen hätte, um
ihren Prinzen zu beschützen.
Und ich hab nicht mal das "Nessun Dorma" gehört.